Kann man agiles Arbeiten nicht einfach „einführen“? Das ist doch nicht viel mehr als ein paar neue Methoden und Werkzeuge, oder?
Anfangen
Ein agiler Start setzt zunächst ein gemeinsames Verständnis voraus. Darüber, was agiles Arbeiten im Kontext der jeweiligen Organisation bedeutet. Dazu braucht es den Austausch im Management, unter den Führungskräften und in den Teams.
Leitfragen für die Kommunikation sind:
- Warum und wofür muss sich unsere Organisation verändern?
- Woran erkennen wir den Mehrwert agilen Arbeitens für die Organisation als Ganzes und für die einzelnen Mitarbeitenden?
- Worauf liegt der Fokus der Agilitätsbemühungen?
- Wo wird agiles Arbeiten bereits eingesetzt bzw. wo erscheint es lohnenswert, agiles Arbeiten zu verstärken?
- Wo gibt es Hürden und wie gehen wir damit um?
Agiles Mindset zuerst
In der Literatur wird einhellig empfohlen, agiles Arbeiten zunächst nur mit einem Team oder Projekt zu erproben. Ein Pilot ermöglicht es, erste Erfahrungen zu sammeln und mögliche Herausforderungen zu identifizieren. Kritischer Erfolgsfaktor ist dabei das Skillset, das das ausgewählte Team mitbringt. Anders ausgedrückt, können Projekte am fehlenden Verständnis des Vorgehensmodells oder am fehlenden Mindset einzelner Teammitglieder, des Managements oder der Führungskraft scheitern. Agiles Arbeiten basiert auf Vertrauen und Offenheit, einer positiven Einstellung gegenüber Veränderungen, Selbstorganisation und kontinuierlicher Verbesserung. Wichtig ist, dass alle Beteiligten bereit sind, diese Werte zu leben und zu fördern. Fehler zu machen gehört dazu! Darin liegt die Chance, besser zu werden.
Voraussetzungen schaffen
Bevor eine Organisation agiles Arbeiten einführen kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehören eine klare Vision und Strategie, die Flexibilität und Innovation fördern, sowie eine offene Kommunikationskultur. Wichtig ist auch, dass die Organisationsstruktur und die Prozesse anpassungsfähig sind und Raum für Experimente und Lernen bieten. Für Führungskräfte ist es ungewohnt, sich nicht einzumischen und keine Entscheidungen zu treffen, auf Berichte zu verzichten, Geduld zu haben und das Team lernen zu lassen. Für viele Teammitglieder ist es ungewohnt, sich selbst zu organisieren, Entscheidungen zu treffen oder bewusst „Nein“ zu sagen. Für alle gilt, eigene Verhaltensweisen zu hinterfragen und neue zu erlernen. Schulungen und Coachings für Mitarbeiter und Führungskräfte sind daher unerlässlich. Sie müssen in der Lage sein zu entscheiden, wann welche Methode, welches Vorgehensmodell oder welche Denkweise anzuwenden ist. Agile Coaches können dabei helfen, die Umstellung auf agiles Arbeiten erfolgreich zu gestalten.
Lernen
Eine agile Haltung und ein agiles Mindset entstehen vor allem durch wiederholtes und diszipliniertes Anwenden. Früher oder später stellt sich die Frage, wann Teams beginnen sollten, die angewandte Methode selbst weiterzuentwickeln. Dabei kann das aus der japanischen Kampfkunst stammende Shu-Ha-Ri-Prinzip helfen. Es beschreibt den Lern- und Entwicklungsprozess in drei Stufen. Auf der ersten Stufe, Shu, werden die Regeln und Prinzipien einer Methode strikt befolgt, um eine solide Grundlage zu schaffen. Auf der zweiten Stufe, Ha, werden die Regeln flexibler interpretiert und angepasst, um den individuellen Bedürfnissen und Herausforderungen der Organisation besser gerecht zu werden. In der dritten Stufe, Ri, werden die Regeln und Prinzipien so internalisiert, dass sie intuitiv angewendet werden können und die Organisation eine eigene agile Identität entwickelt.
Evaluieren und anpassen
Nach Abschluss des Pilotprojekts ist es wichtig, eine gründliche Evaluierung durchzuführen, um kontinuierliche Verbesserungen zu ermöglichen. Der Zweck besteht darin, Hindernisse zu identifizieren, Lösungen zu finden und den Wert der geleisteten Arbeit zu maximieren. Auf Basis dieser Erkenntnisse können Anpassungen vorgenommen und die agile Arbeitsweise weiter verbessert werden.
Skalieren und integrieren
Wenn das Pilotprojekt erfolgreich war, kann die agile Arbeitsweise auf weitere Teams und Abteilungen ausgeweitet werden. Wichtig ist, dass die Organisation diesen Prozess unterstützt und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellt. Agile Praktiken sollten in die Unternehmenskultur integriert werden, um einen langfristigen Erfolg zu gewährleisten. Das ADKAR-Modell von Prosci unterstützt ein erfolgreiches Veränderungsmanagement, indem es die individuelle Akzeptanz und Anpassungsfähigkeit der Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellt. Es bietet einen strukturierten Ansatz, um das Bewusstsein, das Verständnis, die Akzeptanz, die Fähigkeit und die Verstärkung der Veränderung sicherzustellen. Dadurch können Widerstände abgebaut werden.
Die Einführung von agilem Arbeiten in einer Organisation ist ein umfassender Prozess, der Zeit, Engagement und eine offene Haltung erfordert. Durch die Schaffung eines agilen Mindsets, die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen und die schrittweise Umsetzung agiler Prinzipien und Methoden, einschließlich des Shu-Ha-Ri-Prinzips, kann eine Organisation den Weg zu mehr Flexibilität, Zusammenarbeit und Innovation ebnen. Agiles Arbeiten kann nicht einmalig „eingeführt“ werden. Es ist immer als work in progress zu verstehen. Es ist nie abgeschlossen.